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Montag, 25. April 2016

Seine Frauen

August 2013 in einem Mehrfamilienhaus in Prien an 14 Messerstichen - steht ihr 65-jähriger Freund seit gestern vor dem Schwurgericht Traunstein mit Vorsitzendem Richter Erich Fuchs. Staatsanwalt Bernd Magiera wirft dem Angeklagten Totschlag vor. Das Besondere an dem Verbrechen: Der weitgehend geständige Rentner hat bereits einen Mord auf dem Gewissen - 1984 an seiner damaligen Freundin in Wien. Er hatte diese Frau mit einer Pistole erschossen, außerdem einen österreichischen Polizisten mit einem Schuss und mehreren Messerstichen schwer verletzt. Deshalb saß er bis 1996 zwölf Jahre in Österreich und Deutschland hinter Gitter
Traunstein/Prien - Laut Anklageschrift befanden sich Täter und Opfer am Spätnachmittag in der Wohnung der 63-Jährigen. Ohne Anlass soll der 65-Jährige seiner Freundin mit einem 28 Zentimeter langen Messer die vielen Stiche in Kopf-, Hals- und Schulterbereich zugefügt haben. Unter anderem wurde eine Halsschlagader durchtrennt, wodurch die Frau binnen einer Minute handlungsunfähig und bewusstlos wurde. Das ergab die Obduktion in der Gerichtsmedizin.
- ADer hochintelligente, sprachlich gewandte Angeklagte, dem Verteidiger Harald Baumgärtl aus Rosenheim zur Seite steht, schilderte gestern eine abenteuerliche Lebensgeschichte. Der Vater dreier Kinder von zwei seiner drei Ehefrauen berichtete von Zukunftsvisionen, drei Selbstmordversuchen, einem sehr erfolgreichen Berufsleben mit tollen Jobs, Auslandsaufenthalten, Erfindungen und Projekten für Weltfirmen. Unter anderem habe er ein EDV-Programm für das österreichische Justizministerium geschrieben. Während einer Wiedereingliederungsmaßnahme während seiner Haft in Österreich spezialisierte er sich angeblich darauf, Mathematikbücher in der Braille-Schrift für Blinde zu kodieren.
Mit seiner ersten Ehefrau, einer Finnin, seiner zweiten Frau, die ihn ebenfalls verließ, und seiner Noch-Ehefrau in Österreich führte er schwierige, von Gewalt geprägte Beziehungen. So erzwang er sich nach gestriger Aussage eines Rosenheimer Kripobeamten Sex mittels Messern. Die zweite Ehefrau sprang angesichts einer Bedrohung mit dem Messer vom Balkon und verletzte sich schwer. Das Mordopfer von Wien habe in später gefundenen Schriftstücken ebenfalls von solchen Dingen geschrieben, informierte der Zeuge. Wie im Priener Fall wollte sich die Lebensgefährtin damals von dem Täter trennen.
Ende 1996 wurde der Angeklagte aus dem Gefängnis entlassen. Wegen des Aufenthaltsverbots sah er seine österreichische Ehefrau nur noch selten. 2006 ließ sich der EDV-Fachmann in Prien nieder. Er lebte von einer 30000-Euro-Abfindung, von Altersarmut bedroht durch die zeitlebens vernachlässigte Rente, wie er gestern schilderte. Im Januar 2013 bekam er mit dem späteren Opfer eine neue Nachbarin. Man habe sich verliebt: "Ich hatte vorher mit dem Leben abgeschlossen. Die Beziehung war von Anfang an sehr intensiv und hat gehalten - bis zum letzten Tag." Der 65-Jährige widersprach sich damit selbst. Denn er berichtete auch von der Feststellung der 63-Jährigen kurz vor der Tat, er sei "der falsche Mann" für sie. Dazu meinte er: "Ich denke, sie wollte sich trennen." Man habe am 11. August 2013 einen schönen Tag zusammen verbracht. Zuhause seien seine Gedanken immer düsterer geworden. Er habe sich mit einem Messer in der Hand zu ihr ins Wohnzimmer gesetzt und gesagt: "Ich töte mich jetzt." Sie sei aus der Wohnung gelaufen und habe gerufen: "Hilfe, ich sterbe jetzt." Für die nächsten Vorgänge wollte der 65-Jährige "keine authentische Erinnerung" haben: "Ich bilde mir ein, die Augen geschlossen zu haben. Gleichzeitig dachte ich vorahnend: Du wirst sie jetzt töten." Er habe es nicht gewollt, aber gleichzeitig "das Diktum seiner Prophezeiung" erfüllt: "Ich habe mit geschlossenen Augen im Hausgang auf sie eingestochen. Sie sank zusammen. Ich habe versucht, sie in die Wohnung zu ziehen und die Tür zu schließen." Und weiter: "Ich habe versucht, Leben in ihr zu finden. Es gelang mir nicht. Ich habe gespürt, dass sie gestorben ist. Ich wollte mich auch töten." Aus seiner Wohnung habe er weitere Messer geholt. Auf das Läuten der Nachbarin hin erklärte er, alles sei in Ordnung. Kurz danach habe die Polizei "um Einlass gebeten". Der Angeklagte wurde in der Tatwohnung festgenommen, verschiedene Messer sichergestellt. Sein gestriger Erklärungsversuch zum Motiv: "Ich wollte sie zur Ruhe, zum Schweigen bringen, als sie im Hausgang um Hilfe rief."
An Familie und Freunde des Opfers richtete der 65-Jährige gestern im Gerichtssaal "ein persönliches Wort": - "Es war eine entsetzliche, absurde Tat. Ich neige mein Haupt vor Ihrer Trauer, Ihrem Zorn. Ebenso neige ich mein Haupt vor der Toten."
Nachmittags wollte der Angeklagte keinerlei Fragen mehr beantworten. Der Nebenklagevertreter wies darauf hin, die Tochter und der Sohn der Getöteten wollten Antworten haben. Der Anwalt hielt dem Täter vor: "Sie stellen sich als Opfer dar. Und dann bringen Sie die Frau um, die Sie lieben." Der Prozess wird am 12., 19. und 26. Mai, jeweils um 9 Uhr, fortgesetzt. kd

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